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Sprache: Deutsch aus englischer Sicht

Angelsächsisch (heute Englisch) war ursprünglich ein norddeutscher Dialekt, sagt die englische Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Fraser.


Wenn man, mitten in Deutschland stehend, nach Westen geht, gehen die deutschen Dialekte in die niederländischen über. Es liegt nahe anzunehmen, daß sich nordwärts die deutsche Sprache ebenfalls allmählich ins Dänische wandelt. Dies geschieht aber nicht. Diese eigenartige Lücke in den norddeutschen Dialekten entstand zu einer Zeit, als die Angelsachsen nach den Britischen Inseln übersetzten. Dieser angelsächsische Dialekt, das fehlende norddeutsche Sprachglied, ist in seiner neuen Inselheimat schließlich zu Englisch geworden.

 

Gerade weil Angelsächsisch (Englisch) in seinem Ursprung ein norddeutscher Dialekt war, läßt Deutsch bei Englischsprechenden noch heute ein heimisches Gefühl aufkommen. Trotzdem besitzt das moderne Deutsch auch Eigenschaften, die in englischen Ohren fremd klingen. Deutsch zu lernen ist deshalb für einen Englischsprechenden etwa so, wie wenn man einen lang vermißten Verwandten kennenlernt: fasziniert bemerkt man sowohl Familienähnlichkeiten als auch Unterschiede.

 

Englisch soll die meisten seiner Fall-Endungen verloren haben, als die Angelsachsen versuchten, mit den Dänen zu reden, die nach ihnen in Britannien Fuß gefaßt hatten. Die Wortstämme dieser benachbarten Sprachen waren dieselben, aber ihre Endungen divergierten genug, um alle zu verwirren. Schließlich erwies es sich als leichter, die Quelle der Wirrnis fast zur Gänze wegzulassen.

 

Stolperstein »Fallendungen«

Im Deutschen sind dagegen die Fallendungen noch heute teilweise erhalten, was dem Fremden ständig Schwierigkeiten bereitet. Er muß nämlich immer versuchen, auf deutsch zwei Dinge gleichzeitig zu tun: sich um den Sinn zu kümmern und die richtigen Endungen anzufügen. Wer entspannt und ausgeruht ist, kann sich wacker mit den Fällen herumschlagen; dann hat man beim Einsatz aller Kräfte zumindest die Aussicht auf einen Teilerfolg. Wer aber angespannt oder müde ist, dem fordert solch ein Kunststück einfach zu viel ab. Das heißt, um Mitternacht gebe ich völlig auf und lasse die Endungen ganz weg. Zu diesem Zeitpunkt gelingen mir bloß noch grammatische Schüsse ins Blaue, und ich könnte mich ebensogut auf die bloßen Wortstämme beschränken. Dann schlüpfe ich in das Gewand der angelsächsischen Urahnen, (Nicht zu verwechseln mit den Alemannen) als sie die Sprache vereinfachten, um mit den Dänen zu reden.

 

 

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Stolperstein »Verbenstellung«

Eine weitere Schwierigkeit für den Englischsprechenden betrifft eine Eigenschaft der deutschen Sprache, die ihr ursprünglich gar nicht angehörte: nämlich im Nebensatz das Verb an das Ende zu rücken. Diese Endstellung ist etwas Besonderes und war ursprünglich das Steckenpferd von einigen wenigen, deren Augen starr auf die lateinische Grammatik gerichtet waren. Die Sprachen, die tatsächlich vom Latein abstammen, haben sie längst fallengelassen. Die Deutschen sind jedoch zu der Überzeugung gekommen, in Nebensätzen finite Verben an den Schluß zu rücken, sei »korrekt« und pflichtgemäß beschäftigen sie sich damit, ihre sprachlichen Hausaufgaben fleißig zu vollenden.

Die Humanisten, die das alles der deutschen Sprache zugemutet haben, wollten die Endstellung auch in Hauptsätzen einführen, um überall lateinische Korrektheit zu dokumentieren. Hier jedoch hat sich die Volkssprache durchgesetzt. Gottseidank...

Manchmal glaube ich, ich hätte einen deutschen Satz verstanden - bis ich vor dem Punkt auf einen Haufen Verben stolpere. Erst dann merke ich, daß ich ganz und gar aus dem Auge verloren habe, wie die Verben hineinpassen, was ihre Subjekte und Objekte überhaupt sein sollen.

Diese Endstellung bedeutet aber mehr als nur einen Stolperstein für Ausländer. Andererseits leuchtet ein: dem Ende eines Satzes, im Deutschen oft von einem Verb besetzt, gebührt ein psychologisch wichtiger Platz, es ist der rhetorische Höhepunkt. Dies verstand schon Johannes Nepomuk Thayn, der über Regensburg schrieb: »"..in einer solchen Stadt zu leben, heißt geborgen sein im Schoß der Zeit«. Heute würde ein engstirniges Schulmeisterlein diesen Satz zweifelsfrei als "ungrammatisch" tadeln: es ließe ihn nicht mit "Schoß der Zeit", sondern undramatisch mit "sein" enden. Aber sogar für die alten Römer wich die Endstellung dem gesunden Menschenverstand, und auf guten Rhythmus bedachte Deutsche tun es ihnen nach.

Bei Hauptsätzen, in denen die urgermanische Stellung der Verben noch vorhanden ist, gibt es etwas anderes, was Englischsprechende besonders interessieren muß: die "Zweitstellung". Dadurch wird ein "Vorfeld" geschaffen, in dem sich ein weiteres Wort oder auch eine Wortgruppe ausgliedern kann. Zum Beispiel ist es möglich, "Den Knaben biß der Hund" zu sagen. Im Englischen muß dagegen das Subjekt in der Regel vor dem Verb stehen. Da gibt es fast keine andere Wal. Englisch hat die Fälle verloren und sich deshalb auf eine starre Wortstellung zurückgezogen. Wie könnte es denn sonst überhaupt zwischen "The dog bit the boy" und "The boy bit the dog" unterscheiden?

 

Wortstellungsfreiheit

Am Anfang war ich von dieser deutschen Wortstellungsfreiheit überrascht. Denn dank dem Vorfeld läßt sich nicht nur eine nahtlose Prosa weben. Man kann auch das Vorfeld benutzen, um mit Takt, Wortklang und Betonung zu spielen. Sobald ich mir dessen bewußt wurde, bemerkte ich auch die starre Wortstellung im Englischen. Sie begrenzt die Möglichkeiten, Takt und Wortklang in Übereinstimmung zu bringen: und um Betonung überhaupt im Schriftbild zu vermitteln muß meine Muttersprache verzweifelt nach der Kursivschrift greifen. Seitdem ich Deutsch näher kennengelernt habe, habe ich mich von meinem eigenen Idiom ein bißchen unter Zwang gesetzt gefühlt.

 

Redewendungen und Reime

Wer dann von der Grammatik zum Wortschatz hinüberwechselt, erkennt weitere Unterscheide. Nehmen wir die kleinen Redewendungen, die manchmal mit Endreim, manchmal mit Stabreim verbunden sind. Zwar bietet auch Englisch Beispiele für beide Arten: high and dry (gestrandet), by hook and by crook (auf Biegen und Brechen) auf der einen Seite und tempest in a teacup (Sturm im Wasserglas), cool as a cucumber (kalt wie ein Frosch), like it or lump it (nimm's oder laß es bleiben) auf der anderen. Im Vergleich mit Deutsch hat aber Englisch relativ wenige von diesen Redewendungen, besonders solche mit Endreim. Außerdem klingen die englischen Endreime entweder veraltet oder gar kindisch. Im Deutschen gehören sie jedoch zu einer lebendigen Tradition, die sogar modische Fremdwörter einbeziehen kann: Auf die Dauer hilft nur Power!

Für mich jedoch liegt der Höhepunkt der deutschen Sprache nicht in ihrer Grammatik, auch nicht in ihren Redewendungen. Der tatsächliche Grund, warum es soviel Freude bereitet, diese Sprache zu lernen, liegt in den unvergleichbaren deutschen Wörtern. Im Englischen muß man fast ein in der Klassik bewanderter Sprachwissenschaftler sein, um völlig zu verstehen, was man in der Muttersprache sagt. Nicht so im Deutschen. Zwar gibt es da auch einen internationalen Wortschatz mit altgriechischen oder lateinischen Wortstämmen: daneben finden sich jedoch Gegenstücke zuhauf: »auf gut Deutsch«.

Einige eingedeutschte Wörter sind Übersetzungen, andere phantasievolle Schöpfungen, aber beide vermögen zu fesseln. Erst seitdem ich auf diese deutschen Gebilde stieß, ging mir der Sinn für eine Reihe griechisch-römischer Lehnübersetzungen in meiner Muttersprache auf. Zum Beispiel bedeutete Komet für mich überhaupt nichts, bis ich auf das deutsche Haarstern traf - ein Wort, das fast auf eine durch den Himmel treibende Seejungfrau anspielt. Man vergleiche auch auf der griechisch-römischen Seite Kosmos und Universum und auf der anderen das anziehend einfache deutsche Gegenstück - das All.

 

»Wortverschmelzungen«

Für mich ist aber die interessanteste Eigenschaft das Vermögen, Wörter zusammenzufügen, ja richtig zu »verschmelzen«: Wörter wie katzenfreundlich oder Kadavergehorsam. Im Englischen ließen sich diese Begriffe nur durch einen schwerfälligen Gebrauch ausdrücken: so freundlich wie eine Katze oder ebenso gehorsam wie ein Kadaver. Zwar erscheinen für einen Deutschen solche Wortgemälde weder so neu noch so aufregend wie für mich, der das alles erst im Erwachsenenalter entdecken durfte. Aber auch wenn man diesen Fremdheitsfaktor in Betracht zieht, bleibt die Tatsache, daß deutsche Wörter wirklich anheimelnd bildhaft sind, bildhafter als ich es mir auf englisch träumen lassen könnte.

Manche dieser Wörter verdienen es sogar, in einen kleinen goldenen Rahmen gesteckt und an die Wand gehängt zu werden. Zu ihnen zählen: schlafmützenhaft, Amtsschimmel, Schmollwinkel, Prinzipienreiter, Pappelgeplapper, Flittergelehrsamkeit, pfeifegal, pudelwohl, katzbuckeln, hinauskomplimentieren, ausgequakt, Schneckenhausmentalität und trojanischer Wortesel.

 Autorin 
©Elisabeth Fraser
 

Siehe auch Die Entstehung der deutschen Sprache
 
Letztes Update: 06. Juli 2022