Schlagfertigkeit: Fritz Erler: Reden heißt, zum Mitdenken bewegen
Herr Erler, Sie gelten als einer der besten und schlagfertigsten Redner des Bundestages. Ein Talent, das Sie als Fraktionsvorsitzender der SPD oft beweisen konnten. Für den geübten Redner Fritz Erler, sind für den die rhetorischen Wirkungen, die er erzielt, auskalkuliert und vorausberechnet, oder sind auch Sie abhängig von der Reaktion Ihrer Zuhörerschaft?
Beides! Die meisten meiner Reden sind ja nicht geschrieben: Ganz selten verlese ich aus besonderen Anlässen einen vorbereiteten Text. Der besondere Anlaß besteht nur darin, daß man auf diese Weise die Sicherheit hat, daß die Presse den Text auch wirklich bringt. Er ist also mehr zur Bequemlichkeit der Journalisten als zur Beruhigung des Redners geschrieben. Im Allgemeinen spreche ich nur nach Stichworten. Und das schließt schon eine genaue Berücksichtigung der zu erwartenden Reaktionen des Publikums - sei es des Bundestages oder einer Versammlung oder eines anderen Auditoriums - aus. Aber natürlich weiß man aus langer Erfahrung, welche Passagen eine besondere Aufmerksamkeit bei den Zuhörern finden. Und es ist sicher so, daß die Art des Echos auch den Redner mitträgt. Der Künstler lebt bekanntlich auch vom Applaus und dies gilt auch für den Redner. Nur muß sich ein politischer Redner davor hüten, dann etwa durch die Zustimmung einer großen Massenversammlung sich fortreißen zu lassen zu Erklärungen, die etwas der Verstandeskontrolle entgleiten.
sich darum bemühen, sich in Kontrolle zu halten
Sind Sie für sich sicher, daß Sie solche Kontrolle niemals aufgeben werden, daß Sie sich immer in der Hand behalten, daß Sie nicht durch Reaktionen des Publikums in Rage geraten könnten und außer Kontrolle geraten?
Das Wort "niemals" soll man niemals aussprechen. Das ist einfach zu hochgestochen; eine so hohe Bürgschaft kann niemand übernehmen. Man kann sich darum bemühen, sich immer in Kontrolle zu halten. Aber ich weiß z.B., daß bei hitzigen Wortgefechten im Bundestag auch der eine oder andere Zwischenruf mich so erregt, daß meine Antwort darauf zwar schglagfertig, aber nicht immer glücklich ist. Meist ist meine Antwort sehr schnell. Bevor der Fragende den Mund richtig zuhat, ist die Antwort schon heraus; Für diese Schlagfertigkeit bin ich im Bundestag bekannt und mitunter auch etwas gefürchtet. Aber es gibt natürlich bei dieser Art Fechtweise auch Situationen, wo man unversehens den einen oder anderen Kollegen kränkt, ohne das eigentlich gewollt zu haben. Das tut einem dann hinterher leid. Vor solchen Reaktionen ist niemand sicher. Aber in langjähriger Erfahrung lernt man sich auch auf diesem Gebiete besser zügeln.
Zwischerufe kann man sich vorher ausrechnen
Diese schnelle schlagfertige Reaktionsfähigkeit, die Sie zum Beispiel beim Anbringen von Zwischenrufen, Zwischenfragen oft bewiesen haben, bereitet Ihnen das Vergnügen?
Ich muß sagen, ja! Natürlich gibt es Fragen, die so beschaffen sind, daß sie eines gewissen Nachdenkens, bevor man antwortet, bedürfen. Sonst würde man sich den Vorwurf Dr. Adenauers zuziehen, der da gesagt hat: "Bei dem", ich weiß nicht mehr, wen er meinte, da säße "das Sprechzentrum zu nahe beim Gehirn". Man muß also schon denken, bevor man spricht. Aber die meisten Zwischenrufe kann man sich ja vorher ausrechnen. Man weiß ungefähr, in welche Stimmung man hineinspricht, ist also nicht ganz unvorbereitet. Es gibt natürlich auch Zwischenrufe, die so genau zur Aufklärung eines Sachverhaltes beitragen oder auffordern, daß man, ehe man den Zwischenruf in der Sache beantwortet, erst ein paar inhaltslose Worte spricht, die einem Zeit zum Nachdenken geben. Das Beliebteste im Bundestage dafür ist die Wiederholung der Anrede "Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren"; dann hat man schon etwas Zeit gewonnen.
Zuhörer zum Mitdenken und auch zum Mittun bewegen
Herr Erler, in der SPD wird vor allem Ihr scharfer Intellekt gerühmt, mit dem Sie politische Probleme, vor allem außenpolitische und verteidigungspolitische Fragen, durchdenken. Hat dieser scharf ausgeprägte Intellekt zur Folge, daß Sie nach Ihrem eigenen Urteil eher ein ?Debatter?, eher ein Diskutierer mit Argumenten hin und her sind, als ein Versammlungsredner in großen Massenversammlungen, wo etwa anderes als Intellekt verlangt wird?
Ich ziehe auch ein erhebliches Publikum in große Massenversammlungen. Aber ich glaube nicht, daß ich das bin, was man einen Volkstribunen nennen könnte. Schon in ziemlich früher Jugend hatte ich einmal in Berlin Gelegenheit, den Vortrag eines damaligen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, Toni Sender, vor einem Forum junger Menschen einzuführen. Das war sicher sehr sachlich und anständig, was ich da gesagt habe. Aber einer meiner Freunde kam dann zu mir und sagte: "Ein Volksredner wirste nicht!" Damit war zunächst mal dessen Urteil gesprochen. Es hat sich dann nicht ganz so bestätigt, denn inzwischen vermag ich durchaus auch ein großes Publikum zu fesseln. Aber ich glaube, nicht durch das Entfesseln eines stürmischen Gefühlsausbruches, durch das Erzeugen von Begeisterung, sondern mehr durch das Zwingen zum Mitdenken.
Wenn ich draußen im Lande auftrete, habe ich natürlich Vorträge zu halten oder auch im studentischen Milieu etwas Vorlesungsähnliches zur Einführung einer Diskussion darzubieten. Es ist ganz klar, daß das ein anderer Redestil ist. Aber meine Veranstaltungen sind immer ein Zwischending zwischen etwas Information, etwas staatsbürgerliche Aufklärung, etwas Anspruchsvolles für den Hörer. Ihn zum Mitdenken und auch zum Mittun zu bewegen, ist sicher dabei ein Motiv. Aber Begeisterungsstürme, glaube ich, habe ich bisher nicht entfesselt.
Wie Sie selbst sagen, sind Sie selbst nicht dazu gemacht, Begeisterungsstürme hervorzurufen, halten Sie diese Tatsache für einen politischen Mangel?
Nein, ich halte sie für einen politischen Vorteil. Ich finde, daß es in unserem Lande viele Figuren gegeben hat, die Begeisterungsstürme entfesselten, aber dabei die Kontrolle über sich verloren - aber dann verlieren auch die Begeisterten die Kontrolle. Ich finde, daß es besser ist, wenn man auch seine Zuhörer dazu erzieht, sich in der Kontrolle zu behalten.
aus: Interview des ZDF vom 7. Januar 1965, Interviewer: Günter Gaus
Quelle: Fritz Erler
Letztes Update: 12. Dezember 2016