Haltung und Ausstrahlung
(siehe auch "Kiesel im Mund" von Thomas Lackmann)
Wie oft erleben wir, daß Politiker bewußt die Unwahrheit sagen. In jüngster Zeit gibt Ursula von der Leyen ein dafür (auch wörtlich genommen) beredtes Beispiel:
Sie verspricht die Teilhabe auf Gutschein für Kinder und Schüler für ein warmes Mittagessen, verschweigt dabei aber, daß 90 Prozent der Schulen überhaupt kein warmes Essen anbieten. Sie verspricht Musikunterricht für etwa einskomma... Euro, verschweigt dabei aber, daß eine einzige Unterrichtsstunde bereits mindestens 25 Euro kostet, was bedeutet, daß jedes Kind alle zwei Jahre das Anrecht auf eine einzige Stunde Musikunterricht erhält (um ein Instrument zu erlernen braucht man mindestens eine Stunde pro Woche!). Dabei haben sie auch weder ein Instrument noch die Hin- und Rückfahrt zur Musikschule. Sie verspricht die Teilhabe auf das Ausleihen von Büchern, verschwiegt aber, daß sich die Kommunen überhaupt keine Leihbüchereien mehr leisten können, sie haben ja noch nicht mal das Geld, die Straßen zu sanieren von den Winterschäden. Sie verspricht den Besuch von Schwimmbädern, verschweigt aber, daß viele Schwimmbäder geschlossen wurden aus Finanznot. Auch erhalten dadurch streng muslimisch erzogene Mädchen keinen Zugang zum Schwimmbad, oder sollten sie etwa mit einer Burka ins Wasser gehen? Genau so ist es mit dem Turnunterricht. Von-der-Leyen nickt dabei sich selbst bestätigend nach jeder Lüge mit dem Kopfe und schlägt nach jeder Lüge die Augenlider nieder wie seinerzeit Uwe Barschel. Wenn sie wirklich so klug wäre wie sie tut, müßte ihr die Diskrepanz zwischen Aussage und Ausstrahlung im memoriam Uwe Barschel doch auffallen.
Zu zwei historisch gewordenen deutschen Politikerreden voriger Jahre, die nicht folgenlos blieben und aufgeregte Analysen auslösten, gehört die Ansprache Philipp Jenningers am 50. Jahrestag der Reichspogromnacht. Jenninger, dem Altnazi und ehem. SS-Offizier, strahlte seine Vergangenheit aus dem Gesicht und seiner Haltung. Die Rede selbst war relativ harmlos, enthielt jedoch Kritik an der israelischen Regierung und den jüdischen Fundamentalisten und Zionisten. Auch der jüdische Deutsche Erich Fried hat dies häufig und viel radikaler ausgedrückt, keiner nahm es ihm übel.
Dieser harmlos-gespenstische Skandaltext von Jenninger war eher ein unfreiwilliges Dokument mißglückter Bewältigung. Bundestagspräsident Philipp Jenninger trat zurück und gab alle politischen Ämter auf. Seither hat ihn niemand mehr gesehen, der Altnazi wurde zu Recht vergessen.
Etwa 10 Jahre später hat Ignatz Bubis, seinerzeit Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Rede Jenningers oder Auszüge davon wörtlich zitiert und anschließend dem erstaunten Publikum mitgeteilt, daß es sich um die Rede von Philipp Jenninger handelte, die er da zitierte. Aus dem Munde von Ignatz Bubis war das alles jedoch berechtigte Kritik an der Kriegs- und Siedlungspolitik des Staates Israel und seiner radikal fundamentalistischen Zionisten, alle applaudierten. Bubis strahlte die Glaubwürdigkeit des Juden aus, der an seinen Brüdern Kritik übte. Das war's.
Das wichtigste in einer Rede ist nur in zweiter Linie der Inhalt. In erster Linie ist es die Haltung und die Ausstrahlung.