Sprache: Gericht verbietet die deutsche Sprache
Die deutsche Sprache verstößt gegen Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und ist von daher verfassungswidrig. Sie ist vom Deutschen Bundestag bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode in geänderter Fassung neu zu erlassen (1).
BVerfG vom 11.2.2015 - 3 WoO 1.15
Aus den Gründen:
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Zwar ist das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1, 4 a GG, § 95 Abs. 3 BVerfGG nur dazu berufen, ein ?Gesetz? für nichtig zu erklären. Eine Sprache ist kein Gesetz. Jedoch ist ein Gesetz ohne Sprache nicht darstellbar. Jedes Gesetz besteht ausschließlich aus Sprache. Die Sprache ist somit zum Gesetz wesensgleiches Minus (zur Bedeutung des Wesens im Deutschen siehe W. Scheuerle, Das Wesen des Wesens, AcP 163 1964, S. 429 ff.). Auch die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG steht einer Entscheidung in der Sache nicht im Wege, da Sprache durch ihren fortwährenden Gebrauch täglich neu entsteht, somit in Anwendung des hier gebotenen Analogieschlusses täglich neu erlassen wird . . .
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt oder bevorzugt werden. Gerade dies geschieht jedoch in bezug auf Nicht-Männer (rechtssprachlich für Frauen, Anm. d. Red.) durch den Gebrauch der deutschen Sprache unentwegt. Stellvertretend für unzählig weitere Beispiele mögen Begriffe dienen wie ?herrlich-dämlich?, ?Bauherr?, ?selbst ist der Mann?, ?aller Herren Länder?, ?seinen Mann stehen?, ?sein eigener Herr sein?. Geradezu verschwindend gering ist demgegenüber die sprachliche Benachteiligung der Nicht-Frauen: So machen Hunde Männchen und nicht Frauchen, auch bezahlt bisher die Zeche der kleine Mann, mag die kleine Frau auf der Straße auch der gegenteiligen Meinung sein. Der Verweis im ?Handbuch der Rechtsförmlichkeit? (Köln, Bundesanzeiger 1991, Rn. 40) auf Fallgruppen maskuliner Substantiva, deren Geschlecht für den jeweiligen Zusammenhang unwichtig ist, verfängt nicht. Allein die Vorstellung, es könnte Maskulina geben, die ? in welchem Zusammenhang auch immer ? unwichtig sind, widerspricht jeder Lebenserfahrung. Insbesondere aber hält es der erkennende Senat für mit dem Gleichheitssatz schlechterdings unvereinbar, daß die weibliche Form einer grammatikalischen Regel folgend über die männliche gebildet wird (Lehrer ? Lehrerin, Fahrer ? Fahrerin, Meister ? Meisterin, Richter ? Richterin). Die deutsche Sprache ist immer noch der archaischen Botschaft im Buche Genesis verhaftet, Eva sei aus einer Rippe Adams geschnitten (1 Moses 2,21).
Dem Senat blieb nicht verborgen, daß frauenbewegte Deutsche (im Sinne des Grundgesetzes) durch Parallelwertung in der Laiensphäre versuchten, dem ungeliebten man das frau beizugesellen (-gesellinnen). Dies mag zwar als Akt der Putativnotwehr zu verstehen sein (in der irrigen Annahme, wirksame gerichtliche Hilfe sei nicht zu erlangen), ist aber selbst dann Sprachbarbarei, wenn man die gerichtsbekannte Rechtschreibschwäche der jungen Generation in Rechnung stellt, die zusammen mit dem phonetischen Gleichklang beider Begriffe zu dem (vorkonstitutionell als weibliche Logik bezeichneten) Schluß führen mußte, Mann sei eben auch hier gleich man. Mit der heute getroffenen Entscheidung besteht für derlei Selbsthilfe keinerlei Anlaß mehr.
Ebenso wie Kreuze in Unterrichtsräumen zusammen mit der allgemeinen Schulpflicht dazu führen, daß die Schüler von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit gezwungen werden, unter dem Kreuz zu lernen (BVerfG vom 16.5.1995 ? 1 BvR 1087/91-NJW 1995, S. 2477), führen Schulbücher, die die hergebrachte deutsche Sprache verwenden, dazu, daß die Schüler von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit gezwungen werden, aus diesen Büchern zu lernen. Gleiches gilt für den deutschen Verwaltungsakt, das deutsche Urteil und das deutsche Bundesgesetzblatt. Der entstehende Konflikt läßt sich anders als die Glaubensfreiheit nach dem Mehrheitsprinzip lösen, denn die Mehrheit des deutschen Volkes besteht aus Nicht-Männern.
Ist also die deutsche Sprache verfassungswidrig, so darf doch das deutsche Volk mit der Verkündung dieser Entscheidung und der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt (§31 Abs. 2 BVerfGG) nicht sprachlos werden. Dem Senat erschien es deshalb als angemessen, dem Deutschen Bundestag Gelegenheit zu geben, bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode die deutsche Sprache neu zu erlassen. Nur so kann dem Gebot des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG entsprochen werden, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Dabei erfordert der föderative Staatsaufbau die Einbindung der Kultusministerkonferenz in das Gesetzgebungsverfahren, um bei dieser Gelegenheit die überfällige Rechtschreibreform vollends zu erledigen. Der Senat steht nicht an, dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner gewiß nicht leichten Aufgabe einige Handreichungen zu geben.
Der mit der sogenannten Kruzifix-Entscheidung (a.a.O.) angedachte Weg, die an Einzelinteressen und dem eigenen Wohlergehen orientierten und tradierten Werten zunehmend verständnislos gegenüberstehende pluralistische Gesellschaft vom Ballast einer christlich-abendländischen Denkungsweise zu befreien, kann durch eine konsequente Verknüpfung neuer Grammatik- mit neuen Rechtschreibregeln (z.B. Filosof) das im Grundgesetz angelegte Selbstverwirklichungsrecht des Individuums entscheidend fördern. Jedes Individuum ist für sich betrachtet eine schützenswerte Minderheit. Das deutsche Volk ist letztlich nichts anderes als die Summe seiner Minderheiten. Das grundgesetzlich verbriefte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) gebietet es geradezu, keine Minderheit in ihrem Streben nach Bindungslosigkeit und Wertefreiheit durch historische Vorbilder (wie Plato oder Christus) zu verunsichern.
Ferner sollte der Gesetzgeber verbindlich vorschreiben, daß weibliche wie männliche Formen unter strikter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch Anbringen der Endungen an den jeweiligen Wortstamm (also Lehrin, Fahrin, Meistin, Richtin usw.) gebildet werden . . . (wird ausgeführt).
Anmerkung:
Die Entscheidung des bisher in der Öffentlichkeit allenfalls virtuell wahrgenommenen 3. Senats des Bundesverfassungsgerichts wird in der Fachwelt sicher die gebührende Beachtung finden. Es verdient Anerkennung, wie das Gericht die freiheitlich demokratische Grundordnung von den Wurzeln eines überkommenen christlich-abendländischen Geistes befreit. Es verdient Anerkennung, wie in die Entscheidung ganz selbstverständlich der Ruf nach einer Rechtschreibreform einfließt, die diesen Namen verdient (Filosof, Rütmus und Katar sind dann kein Frefel, allenfalls ein Gräuel). Erst geht das Kreuz aus den Klassenzimmern, dann werden die Taue zu dem griechisch-römischen Firlefanz gekappt, von dem sich unsere wertefreie Gesellschaft längst emanzipiert hat und der nur noch die überfrachteten Lehrpläne an unseren Schulen belastet.
Erst allmählich erschließt sich, daß uns das Bundesverfassungsgericht eine großartige Werktrias hinterlassen hat, in der alles mit allem verbunden ist: Soldaten- und Spracheentscheidungen sagen uns, daß Soldatinnen keine Mörder sind. Sprache- und Kruzifixentscheidung führen zur Konsequenz, daß unsere Schüler (Schülinnen?) nicht ?unter dem Kreuz?, auch nicht unter dem lateinischen oder gar griechischen lernen sollen. Kruzifix- und Soldatenentscheidung schließlich belegen, wie sehr das Gericht Tucholsky bereits verinnerlicht hat. War nicht auch das mindestens von Tucholsky, wenn nicht gar von Brecht: Das Gericht ist enttäuscht vom Volk. Es muß sich deshalb ein neues Volk suchen? Dem deutschen Volk jedenfalls fällt bei einem Aufkleber ?"Soldaten sind Mörder"? sicher nicht Tucholsky ein, eher die Empfehlung eines anderen großen Deutschen, man solle dem Volk aufs Maul schauen.
Auch das noch! War die Rechtschreibreform nur ein Anfang?
Der Autor dieser Satire ist Direktor des Bayerischen Gemeindetags.
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Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag
Siehe auch "Die Entstehung der deutschen Sprache"
Letztes Update: 18. März 2017