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These von der Mehrgleisigkeit des Denkens

Die These von der Mehrgleisigkeit des Denkens

Beim Reden brauchen wir mehrgleisiges Denken.

Einerseits will ich mein Konzept befolgen, muß meine Gliederung im Geiste vorausschauend durchkämmen und gleichzeitig weiterreden. Andererseits muß ich das Publikum aufmerksam beobachten und womöglich meine Reaktionen darauf überlegen und nebenbei planen. Wenn ich improvisiere suche ich nach Gedanken, obwohl ich noch keine Ahnung habe, wie ich sie formulieren soll. Dann muß ich mich selbst kontrollieren. All dies muß gleichzeitig geschehen. Die Mehrgleisigkeit läßt sich trainieren. Aber wie?

In meinen Rhetorik Übungen habe ich dazu einiges vorbereitet. In der Übung 1 soll nur gelernt werden, den Schock der Unterbrechung zu überwinden. In der Übung 2 muß zielgerichtet gehandelt werde, ohne daß ich meinen Roten Faden verlieren darf und ohne daß ich meine Rede unterbreche. In Übung 3 muß improvisatorisch die gesamte Rede entstehen, obwohl ich noch nicht weiß, auf was ich hinauswill, wenn ich meine Rede nur dreist beginne.

Als Kind von 8 Jahren habe ich mit Klavierunterricht angefangen. Man hat zwei Hände, die eigentlich spiegelbildlich spielen wollen, die Finger also immer gegeneinander: linker Daumen mit rechtem Daumen, linker kleiner Finger mit rechtem kleinem Finger usw. Also lernt man erstmal, parallel zu spielen. Nun kommt die nächste Schwierigkeit: beide Hände spielen nach unterschiedlichen Schlüsseln: links Baßschlüssel, rechts Violinschlüssel. Dann soll man alles vom Blatt spielen und dabei nicht auf die Tasten schauen. Im ersten Jahr konnte ich die beiden Hände und Schlüssel nicht trennen. Ich hatte einen Knoten im Kopf. Und irgendwann plötzlich ging es.

Erst sehr viel später habe ich kapiert, wie ich das mache: ich mache es wie ein Computer, dort nennt man dies Multitasking.

Der Computer hat nur einen einzigen elektrischen Strahl, der arbeitet. Wenn Programme gleichzeitig laufen, parallel laufen, dann entsteht kein zweiter Stromstrahl. Vielmehr saust der eine Strahl mit wahnwitziger Geschwindigkeit vom einen Geleise zum anderen, füllt jedesmal hier was auf, dann dort, dann am dritten usw. Je schneller der Wechsel zwischen den einzelnen Geleisen geht, desto gleichmäßiger gehen beide (oder mehr Programme) parallel.

Dieses ist das einfache Prinzip, das ich als Kind dann (von dieser These des mehrgleisigen Denkens noch nichts ahnend) ausgeführt habe: ich habe mich immer auf jene Hand (jenes Geleise) konzentriert, wo ich Schwierigkeiten hatte, die andere Hand (das andere Geleise) spielte derweil von alleine weiter, jedenfalls brauchte diese momentan nicht meine Konzentration, meinen Denkstrahl.

So mache ich das heute sehr bewußt, wenn ich rede. Ich plane den Satz und fange ihn an, der Satz spricht sich alleine zu Ende, derweilen kann ich schon wieder überlegen: Disposition, nächster Satz, Publikum, Selbstkontrolle usw.

Eine schöne Geschichte zu diesem Thema habe ich von Bernhard Minetti gehört, diesem großartigen Schauspieler. Er stand mit 80 Jahren in einer langen Unterhose auf der Bühne und sprach. Dabei ging ihm durch den Kopf: Nun bist Du achtzig. Und stehst mit einer langen Unterhose hier auf der Bühne herum. Moment: ... was redest Du eigentlich hier? Und in genau diesem Moment verlor er den Text. Er verlor ihn also nicht, weil er nebenbei anderes dachte, sondern nur, weil er sich fragte: was redest Du eigentlich? Das also ist der gefährliche Moment. Ich kenne ihn auch sehr gut.

In diesem Fall schalte ich sofort meine zweite Stimme, meine Kamera, die mich von oben rechts kontrolliert, meine Gliederung und sämtliche Nebengedanken ab und höre mir selbst äußerst aufmerksam zu. Dann verliere ich meinen Text nicht. Genauso mache ich das, wenn ich zu meinem Satzanfang kein Satzende finde oder wenn ich mich allzusehr grammatikalisch in Schachtelsätze (Aphorismen "Schachtelsatz"--->) verwickelt habe. Erstens vermeide ich Schachtelsätze. Ich vermeide möglichst jegliches Komma beim Reden. Aber wenn ich den Roten Faden verliere, dann höre ich einfach auf, danach zu suchen und höre mir selbst hinterher, was ich gerade gesagt habe. Man hat doch auch ein akustisches Kurz- und Mittelzeitgedächtnis. Und wenn ich überlege und nach Gedanken suche ist dies ja sehr spannend für das Publikum, sie erleben es ja mit. Ich suche auch in den Gesichtern nach meinen Gedanken, dort verhaften sie länger als in meinem vorauseilenden Hirn.

Und wenn ich alle Geleise so abschalte und mich nur noch auf das eben Gesagte konzentriere, finde ich meinen Roten Faden schnell wieder.

Auch das läßt sich leicht trainieren: lesen Sie die Zeitung und hören Sie gleichzeitig die Nachrichten. Oder gehen Sie in die Kneipe, unterhalten Sie sich mit Ihren Freunden und hören Sie auf das Gespräch am Nebentisch. Mir ist in der Kneipe schon gelungen, das leiseste Gespräch, den leisesten Tisch nebenbei genau mitzuhören, indem ich den Pegel meines Gehörs entsprechend eingestellt habe: Lautes unbeachtet laufen lassen, sich auf das Leise konzentrieren, nebenbei natürlich weiterquatschen.


Rhetorik
 
Letztes Update: 18. März 2017